Vom Leben nach einer (Erschöpfungs-)Depression
InterviewMöchtest du wissen, was Betroffene einer Depression dabei unterstützen kann, nach der Genesung gesund zu bleiben? Oder interessiert du dich dafür, einen Einblick in das Leben eines ehemals Betroffenen zu erhalten? In diesem Interview teilt der ehemals betroffene Matthias Plack seine Erfahrungen, wie es ihm heute – etwa 5 Jahre nach seiner Depressionserkrankung – geht.
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Wie geht es dir heute?
Gut. Und das erlaube ich meinen Klient:innen eigentlich nie zu sagen. Ich bin zufrieden mit dem, was ich tue und wie ich durch das Leben komme und gehe, da es sehr viel Aktivität und ein aktives Hinzu, zu dem was ich vorhabe, ist. Und ich fühle mich wohl in meinem Leben.
Wenn du es jetzt in Perspektive setzen müsstest: Was ist heute anders als vor 5 Jahren?
Viel mehr Freiheit, viel mehr wirklich tiefes Atmen, viel mehr Sein und viel mehr Freude in dem, was ich tue. Im Zuge auch dessen, wie ich mich weiterentwickelt habe. Ich habe meine Selbstständigkeit vorbereitet, ich habe mittlerweile drei Coaching-Ausbildungen abgeschlossen und mache das, wo ich am meisten Freude habe. Und ich glaube auch, was ich richtig gut kann. Das, gekoppelt mit meiner Familie und dem Grad an Klarheit, wie wir zu Hause auch mit meiner Erkrankung umgegangen sind.
Wie viel von deinen inneren Antreibern, die du mal beschrieben hast, sind noch da?
Alle. Alle sind noch da. Aber besser im Einklang. Also, ich werde immer der Leister bleiben. Mir ist Performance extrem wichtig – gleichzeitig aber auch Zufriedenheit und eine Form von Wahrhaftigkeit. Also, an Performance und Leistung ist ja nichts schlimmes. Das ist ja wunderbar, wenn man Erfolge feiern kann. Aber Erfolg ist eben mehr, als z.B. reiner Profit. Das hat auch etwas mit Sinnhaftigkeit und Werten zu tun. Und diesen Gleichklang, den kriege ich im Augenblick ganz gut hin.
Wie wendest du das, was du in diesem Prozess gelernt hast, im Alltag an?
Bewusst und unbewusst. Wenn man von kompetentem und inkompetentem Verhalten spricht, kann man beides bewusst und unbewusst betreiben. Und ich bin irgendwo zwischen bewusster Inkompetenz und unbewusster Kompetenz. Das heißt, ich agiere nicht mehr unbewusst fehlerhaft und gleichzeitig habe ich mir antrainiert, mich praktisch jeden Tag zu hinterfragen: Wie schlau ist das? Das merke ich aber gar nicht mehr, ob es Ernährung, Sport, die Arbeit oder die Entscheidung ist, in Konflikte zu gehen oder wie ich mich in meiner Freizeit belaste. All das ist für mich komplett Tagesgeschäft. Das für mich so zu entscheiden, dass es gut ist. Bis hin dazu, mir weiterhin ganz konsequent Ruhepausen bzw. -phasen zu geben. Das können ja die Wenigsten: Nichtstun. Das ist mehr ein buddhistischer Satz: „Das Tun muss auf dem Nichtstun basieren” – und das auszuhalten, mal eine Stunde nichts zu tun, ist für mich ein riesiger Schatz. Und das versuche ich auch immer wieder zu machen.
Hast du dir neue Routinen angeeignet?
Ja, es geht aus meiner Sicht bei der Bewältigung einer Krise, Depression oder eines Burnouts ganz erheblich darum, zu erkennen: Was habe ich für Routinen? Sind die hilfreich oder hinderlich? Wie kann ich Routinen und Gewohnheiten für mich so gestalten, dass sie langfristig auf meine Gesundheit und Zufriedenheit einzahlen und das dann managen. Es gibt auch so einen Satz: Gewohnheiten beginnen als Spinnweben und enden als Drähte. Es ist ganz wichtig, eine Form von Fluffigkeit aufrechtzuerhalten, um nicht einfach blind irgendwo reinzurennen.
Also ist das etwas, das du jeden Tag aktiv tust?
Ja. Ich habe andere Routinen entwickelt, die ich bisher nicht hatte. Ganz simpel: Ich gucke kaum noch Nachrichten. Die Tageszeitung kommt nur noch Freitag, Samstag und Sonntag. Weil das auch einfach eine Form an Information ist, die für mich im Alltag zu viel ist. Das sind so kleine Beispiele, darauf zu achten, immer mal wieder Dinge zu probieren, die einem gut tun, oder eben nicht gut tun. Das war auch eine Diskussion zu Hause, da meine Frau gesagt hat: „Dann sind wir ja gar nicht mehr informiert?” Was soll ich sagen: Wir sind immer noch informiert und lesen nur noch am Wochenende Zeitung.
Was sind andere Beispiele von Dingen, die du für dich persönlich entdeckt hast, die dir gut tun?
Also, in meinem konkreten Fall ist es so, dass ich damit spiele, zu erkennen: Da ist mein Leister, da ist derjenige, der Performance machen will. Also, ich feiere mich dafür, wenn ich mal nicht Joggen gehe, sondern mich einfach nur eine halbe Stunde dehne. Das hätte ich früher nie gemacht, mache es aber jetzt. Ganz, ganz kleine Schritte. Ich suche mir in der Arbeit ganz bewusst Dinge aus, wo ich hingehe. Und was ich mache. Und wenn ich einen Konflikt in mir oder mit anderen Personen spüre, dann spreche ich das an. Und ich spreche es so an, dass ich von meinen Bedürfnissen spreche und nicht davon, dass jemand anderes doof ist und sich falsch verhält. Und das ist vielleicht auch nochmal ein ganz schönes Bild, das ich tatsächlich gut entwickelt habe: Was tut mir gut? Was sind meine Bedürfnisse? Vielleicht auch für Menschen, die damit nicht so konform gehen oder für die das ungewöhnlich ist. Ein Bedürfnis zu haben, hat nichts damit zu tun, bedürftig zu sein. Es ist wichtig zu erkennen, was ich selbst brauche.
Hast du jetzt gerade eine bessere Beziehung zu dir selbst als du vorher hattest?
Unbedingt. Also ich habe eine kleine körperliche Reaktion, ich habe eine Gänsehaut dabei. Das zeigt, es ist ein Treffer. Ja, darum geht es im Wesentlichen. Sich selbst besser zu erkennen und dem wohlwollend zu begegnen. Um tatsächlich über den Gleichklang Körper, Geist, Mentalität festzustellen, dass möglichst wenig Widerstand da ist. Wenn ich einen Widerstand in mir habe, zeigt es, dass ich in einer gewissen Art und Weise nicht balanciert bin. Widerstände sind okay, die sind auch immer da und die braucht man auch. Und sie zeigen einem auch gewisse Dinge auf. Wichtig ist einfach das Thema Bewusstheit und Nähe, so wie du es gesagt hast.
Hast du manchmal Angst, dass sich dieser Weg, auf dem du jetzt gerade bist, sich in irgendeiner Form verschlechtern könnte oder du in diese Depression zurück rutschst?
Nein, habe ich nicht. Und ich sage gleich: Man kann es nie ausschließen. Auch das hat mit Akzeptanz zu tun. Ich lebe in einem anderen Bild. Es gibt ja zwei Dinge, die Motivation im Wesentlichen verursachen. Das sind Angst und Liebe. Und ich möchte nicht hinter einem Verweigerungsziel hinterherlaufen: Oh, ich möchte keinen Rückfall erleben. Ich möchte mein Leben daran ausrichten, was mir gut tut und wodurch ich Kraft bekomme. Also möchte ich eher in Richtung Aufrechterhaltung meiner Gesundheit und Zufriedenheit leben. Und dieses Bild vermeide ich.
Das gibt dir also im Prinzip schon ein bisschen Kontrolle darüber, dass es dir nachhaltig und langfristig gut geht? Zumindest in dem Maße, wie du es selber beeinflussen kannst?
Ja. Also, ich bin da am Steuer. Ich habe für mich gelernt, dass wenn man sich in Ruhe lässt und die Ruhe zulässt, dann regelt der Körper und der Geist schon ganz schön viel alleine. Und das hat eine gute Freundin von mir mal gesagt: „Lass dich doch mal in Ruhe.” Wenn man das aushält und Erfolge damit auch erleben kann, dann gibt einem das Kraft. Das ist wie ein Muskel, der wächst. Weil das Vertrauen in sich wächst. Das heißt nicht, dass man nicht ätzende Tage hat oder dass es einem nicht schlecht geht. Seitdem ich meine Krise hatte, merke ich ganz, ganz viel körperlich. Also, der Körper hat ja so ein Schmerzgedächtnis. Meine Aufgabe im Augenblick ist, immer wieder zu entscheiden: Ist da was? Ist da irgendetwas nicht in Ordnung? Oder kommt da eigentlich das Schmerzgedächtnis hoch, wenn ich mal wieder Schulter- oder Kopfschmerzen habe? Ich kann dem im Augenblick spielerisch begegnen, dadurch dass ich das jetzt fünf Jahre lang geübt habe.
Würdest du sagen, dass es diese lange Übungszeit auch braucht?
Also ich glaube, das ist höchstindividuell. Das ist eben halt auch die Frage, wie und wodurch ich in eine Krise gerate. Und wie fest diese Gewohnheiten bzw. Glaubenssätze in mir drin sind. Und wie weh es tut, die an sich hinderlichen Glaubenssätze aufzulösen. Mich hat es fünf Jahre gekostet – im Grunde genommen sogar noch mehr. Also vielleicht sogar zehn oder fünfzehn Jahre, ich weiß es nicht genau. Und das wird auch nicht aufhören. Das ist auch gut so. Manche Menschen kriegen das schneller hin und manche Menschen haben fast ihr ganzes Leben lang mit Depression zu tun und leiden chronisch darunter. Das kann man nicht verallgemeinern. Wichtig ist, da einen eigenen Weg zu finden.
Gibt es Dinge, die du anderen Personen empfehlen würdest, auch wenn natürlich jede:r eine eigene Reise geht?
Ja, es gibt viele kleine Aufgaben und „Handwerkzeugsthemen”, die man machen könnte. Ich habe mir z.B. eine Playlist erstellt mit Liedern, die mir gut tun. Ich bin irgendwann darauf gekommen – ich bin eigentlich so ein Rock’n’Roll-Typ, aber ich habe da auch so ein paar Liebeslieder reingepackt. Und ich stelle mir dann vor, dass ich mir die Liebeslieder für mich vorsinge. Und das tut ganz gut. Das habe ich noch nie mit jemandem geteilt – das fühlt sich gerade komisch an (lacht). Also, mir tut das gut, die habe ich Push me genannt. Oder man könnte einfach etwas machen, was einem körperlich gut tut. Was entspannt mich? Da gibt es die verschiedensten Dinge, z.B. Akkupressurmatten. Die habe ich total in meinem Alltag drin. Viele Leute schreiben ein Tagebuch oder führen ein Buch über Dankbarkeit. Es gibt Unmengen an Möglichkeiten. Es gibt auch viele tolle Angebote, was man machen kann. Mir ist immer wichtig: Nicht absolut, sondern relativ. Mir ging das teilweise so, als ich diese Hilfsliteratur gelesen habe, dass ich mich teilweise schon unter Druck gesetzt gefühlt habe, was ich so alles machen müsste. Für mich war das ein Fehler. Also: Dinge ausprobieren, wirken lassen. Wenn es klappt – super; wenn es nicht klappt, gehören Wut und Ärger dazu. Einfach dranbleiben und weitermachen.
Außerdem: Gespräche suchen. Mit Menschen im engeren Vertrauenskreis sprechen und auch darüber sprechen, was ich brauche. Also ein depressiver Mensch braucht im Regelfall keine Vorschläge für Lösungen. Das hilft gar nicht. Klassische Sätze wie „Du brauchst ein dickes Fell” helfen nicht. Also, darüber zu sprechen, was mir gut tut, ist schon ein riesiger Schritt. Einfach wertfrei zu sagen: Ich brauche jetzt das und das.
Das war ein erster Einblick in die Erfahrung eines Betroffenen. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie sein Genesungsprozess aussah oder was er Angehörigen von Betroffenen empfiehlt, schau dir gerne die weiteren Interviews mit ihm an. Informiere dich außerdem gerne weiter zum Thema Depression und Burnout hier in der Mediathek. Du kannst außerdem jederzeit die hier hinterlegten (psychologischen) Ansprechpersonen kontaktieren, wenn du – auf Wunsch auch anonym – mit jemandem sprechen möchtest.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.